Marve Heroic Roleplay – Improvisation und Rulings


Auf zum vierten Punkt, den ich zum Marvel Heroic Roleplay festgehalten habe:

Die Struktur des Systems und der Regeln und die Struktur der vorhandenen Abenteuer machen es sehr einfach zu improvisieren. Der Grad an Vorbereitung hält sich in Grenzen und im Vergleich zu Systemen wie HERO System oder D&D 4 kann ich mich als DM auf die Geschichte konzentrieren, anstelle mich auf die Mechanik konzentrieren zu müssen.

Das sind mal wieder gleich mehrere Dinge, die für mich aber stark zusammen gehören. Erstens sind Rulings und Ideen, die einem kommen On-The-Fly leicht umzusetzen.

Eine Reihe von Situationen hatte ich letztens:

Was ist, wenn die Helden überall in der Stadt verteilt sind, irgendwo ein SChurke angreift und sie erst eingreifen können, wenn sie da sind? Wie Sorge ich dafür, dass der Doom Pool eine brauchbare Größe hat und die Helden dafür arbeiten müssen, zum Ort des Geschehens zu kommen – vielleicht weil auf den Strassen Panik ausgebrochen ist, weil unklar ist, wie sie zum Ziel kommen und es trotzdem schnell gehen muss?

Ich hab den Spielern einfach eine Complication verpasst: Entfernung. Das erlöst mich davon, genau festzulegen wo jemand ist und wie schnell sich wer bewegen kann, um die Zeit bis zum Ziel zu simulieren. Es sorgt auch dafür, dass der schnellste Held nicht immer der erste Held ist. Ausserdem können die Spieler mit cooler Erzählung ihre Erfolgschancen drastisch beeinflussen. Im Idealfall braucht der erste Held nur eine Runde bis zum Ziel.

Ich habe von einem anderen Fall gehört, in dem ein Watcher eine Complication „Only Hero on the Scene“ verwendet hat, um dafür zu sorgen, dass die Helden nach und nach eintreffen. So eine Komplikation muss sich also nicht auf ein physisches Element einer Szene beziehen, sondern könnte genug einfach ein erzählerisches Element darstellen.

In einer anderen Situation war ein Feuer ausgebrochen und ich habe mich gefragt, wie ich so ein Feuer richtig gefährlich machen kann. Wenn man das Regelwerk liest könnte man denken, dass so ein Feuer in erster Linie Mal eine Complication oder eine Eigenschaft einer Szene ist, also selber gar nciht unmittelbar eine Rolle spielt, aber mittelbar den tatsächlichen Gegnern hilft oder die Spieler behindert. Aber was spricht dagegen ein Feuer einfach als einen Gegner zu entwerfen? Ich hab einfach einen Mob draus gemacht und dafür gesorgt, dass er bei einem Angriff nicht nur den SCs Schaden macht, sondern vor allem den Doom Pool steigen lässt: Das Feuer zerstört die Umgebung und macht alles viel gefährlicher.

Wieder eine andere Situation: Eine Befragung eines Gegners. Einer der Spieler hat einfach einige Details ausformuliert, die Befragung in Teilen eben ausgespielt  und ein paar gute Ideen dabei eingebracht. Hier wurde gewürfelt, weil die Befragung wichtig war – ich hab dem Spieler einfach angeboten für die Erzählung einen Stunt-Würfel zusätzlich zu verwenden und damit war dann auch das Ergebnis einfach überragend. Eigentlich sind Stunts für den Einsatz von Powers gedacht, aber warum sollte man sie nicht auch in Situationen, wo es angebracht ist, auch ausserhalb verwenden?

Durch die relativ Breite Aufstellung von Specialties, Powers oder Distinctions fällt es sehr leicht mit Ideen aufzuwarten.

Das andere Element, was mir dabei hilft zu improvisieren ist, dass man Helden oder Schurken „auf einen Blick“ erfassen kann. (Über die Vorzüge des Charakterblattes von MHR habe ich in diesem Zusammenhang schon berichtet.)

Das heisst auch: Es sind einfach nicht besonders viele Informationen, die man braucht, um einen Schurken oder eine gefährliche Situation aufzustellen. In nahezu jedem Rollenspiel macht man sich ja zu NSCs und Situationen Notizen, damit man als GM über die Stichworte schnell Handlungsweise, Ziele und Fähigkeiten / Taktik im Blick hat. Für MHR kann man diese Stichworte Kinderleicht verwenden, um daraus einen Schurken zu bauen – insbesondere die einfacheren Gegner sind mit den Stichpunkten hinreichend beschrieben und es ergeben sich fast automatisch die nötigen Würfelpools. Erzählung und System greifen Hand in Hand. So ist auch schnell ein Gegner improvisiert.

Klar sollte man in den besonders wichtigen NSC, den Oberbösewicht, die Szene, die den Höhepunkt einer Session oder eines Kapitels darstellt immer noch etwas mehr Zeit investieren. Aber auch wenn man das macht sind Details schnell angepasst. Man muss keine große Liste von Zaubern, Feats oder ähnlichem kennen, die vielleicht alle mit Sonderregeln daherkommen. Selbst die Limits oder Special Effects, die vielleicht der problematischste Teil eines Power Sets darstellen, kann man schnell Mal improvisieren. Die meisten SFX funktionieren nach dem gleichem Muster (Gib einen Plot Punkt aus für einen punktuellen, Vorteil.)

Und wenn man Mal etwas „heftiger“ werden muss? Dann macht man es einfach: Dieser Übermächtige Gegner kann 3 Würfel für das Ergebnis zusammenzählen. Oder diese Power aus seinem Powerset beinhaltet nicht einen Würfel, sondern automatisch immer zwei. Oder: physischer Schaden wird immer um eine Stufe reduziert. (Das habe ich Mal für eine Gruppe Zombie-Gegner gemacht. Hat gut funktioniert OHNE das Spiel kaputtzumachen!)

Die Möglichkeiten sind beeindruckend und trotzdem einfach und schnell erfasst, umgesetzt und erweitert. Man sollte nur aufpassen, dass man nicht den Charme des Systems zerstört: Alles auf einen Blick erfassbar halten und Erzählung und System auf einer Linie halten. Beides ist kein großes Problem.

Marvel Heroic Roleplay – Powers zu ungenau?


Der dritte Punkt auf meiner kleinen Liste an Punkten zu Marvel Heroic Roleplay war:

Obwohl die Kräfte der Charaktere im Vergleich zu Systemen wie Mutants & Masterminds oder Champions (HERO System) recht grob definiert sind, sind genug Anhaltspunkte vorhanden die klarstellen, was ein Charakter wie kann und was er nicht kann.

Was ist damit gemeint und wie äussert sich das? Schauen wir doch noch Mal auf das Charakterdatenblatt von Songbird.

Die Sound Generation wird durch 4 Kräfte näher beschrieben, die Anhaltspunkte geben, was der Charakter können soll.

Ein Sound Blast wird wohl für den Angriff da sein, das Shield für die Verteidigung. Flight ist dann wohl zum fliegen da. Mind Control und Sonic Mastery sind da noch die komplizierteren Sachen.

Also mit Mind Control kann man die Handlungen anderer beeinflussen und Sonic Mastery …. ist wohl die Herrschaft über Klang. Für beides muss man aber den Charakter ein wenig kennen. Songbird hat die Fähigkeit, Konstrukte aus solidem Klang zu erschaffen. Wer von euch Comics liest und Green Lantern kennt, kann sich vorstellen, wie das ganze am Ende aussieht. Nur wo unsere grüne Leuchte halt die Energie aus ihrem Ring benutzt, um feste Konstrukte aus seiner Vorstellungskraft zu formen, benutzt Songbird eben Klang, den sie verfestigen kann. Dieses Hintergrundwissen ist notwendig, um zu wissen, was mit „Sonic Mastery“ geht, und was nicht geht. Es handelt sich also nicht um die Kontrolle von Klang an und für sich. Die Fähigkeit es plötzlich still zu machen, oder einen bestimmten Illusionären Klang zu erzeugen sind Songbird also nicht gegeben, obwohl andere Helden mit „Sonic Mastery“ das durchaus könnten.

Mind Control ist die Beeinflussung von Gedanken, richtig? Im Prinzip ja, aber im Falle von Songbird ist das auch nur eine Ausdrucksweise für einen Teil ihrer Fähigkeiten: Sie kann unhörbare Schallwellen ausstossen und damit das Unterbewusstsein ihrer Gegner beeinflussen, sie in eine bestimmte Handlungsweise drängen, ohne aber all zu genaue Kontrolle zu haben, oder ihre Sinne verwirren.
Also: Nur zusammen mit der Hintergrundgeschichte lassen sich die Power Sets eines Charakters vernünftig anwenden. Wenn man diesen Hintergrund aber grob kennt, reichen die Stichworte des Powersets volkommen aus um zu wissen, was jemand kann.

Die größe des Würfels bei der Beschreibung einer Power, gibt auch an, wie gut, in einem ziemlich groben Rahmen, eine Kraft ist. Ein Flight mit einem Wert von d8 wäre zum Beispiel niemals mächtig genug, um mit Lichtgeschwindigkeit zu fliegen.

Die Kräfte oder bevorzugten Anwendungen der Kräfte eines Charakters werden dann durch Special Effects (SFX) und Limits noch näher beschrieben.

Songbird hat zum Beispiel SFX, die ihre Vorteile gewähren, wenn sie Assets oder Complications mit Hilfe von Solid Sound erzeugt. Das führt dann auch schnell dazu, dass man sich eben nicht auf die Kräfte konzentriert, mit denen man einfach einem Gegner eine runterhaut, oder ihre Sinne verwirrt, sondern auf den Kern der Kräfte des Charakters: Die Fähigkeit Konstrukte aus solidem Klang zu erzeugen.

Gleiches gilt für die Limits, die generelle Einschränkungen vorgeben.

Auch die Specialties – also die Skills eines Charakters sind eher ein grober Rahmen und wesentlich mehr als nur Fertigkeiten. So gibt zum Beispiel Songbird’s Crime Specialty nicht einfach nur an, dass sie sich mit Verbrechen auskennt und wohl auch gut weiß, wie sie welche begehen könnte. Es heisst auch, dass sie weiß, wie sie an die benötigten Informationen, Werkzeuge, Kontakte und sogar Goons kommt, und kann diese dann auch verwenden.

Für das Spiel heisst das alles, dass man als Spieler ruhig die Fähigkeiten eines Charakters – seien es nun Distinctions, Power Sets, oder welche andere Eigenschaften auch immer – interpretieren darf, so dass man sie in einer Situation passend zur Anwendung bringen kann. Trotzdem wird das ganze kein wildes Verbiegen eines Charakters. Die Stichpunkte, die einem gegeben werden reichen vollkommen aus, um die Vorstellung anzuregen und dennoch Grenzen zu stecken!

Marvel Heroic Roleplay: Der Kampf gegen einen T-Rex – Einfach und dynamisch!


Über die wunderbare Herausforderung, das Marvel Heroic System Cortex+ zu meistern und seine Möglichkeiten in der Theorie zu nutzen, habe ich ja letzte Woche schon geschrieben. Anschaulicher wird das Thema aber durch die Rollenspiel-Session, die es dann an diesem Abend gab.

Achtung: Der Nachfolgende Artikel betrachtet vor allem die Einflüsse des Systems und die Art und Weise, wie verschiedene Dinge abgebildet werden, ohne dass es eine fest statische Regel gibt. Dadurch entsteht vielleicht im Artikel der Eindruck, dass man nur über die Fachbegriffe des Systems diskutiert und sich überlegt, wie etwas systematisch abgebildet wird. Das ist nicht so! Es ist alles total einfach! Am Spieltisch liegt die Konzentration auf der Erzählung und dem was man tut, nicht dem „wie bildet es das System ab“. Das, so weiß man nach einem Abend MHR, ist nämlich immer gleich.

Die Charaktere – Colosssus, Captain America und Beast – sind ins Savage Land gereist (eine Art „innere Welt“ Setting im Marvel Universum – Jungel, prähistorische Monster, gemeine Technologie und Resourcen) um einen Bösewicht einzufangen.

Sie sind gerade gelandet, da taucht ein gigantischer T-Rex auf und trampelt erst Mal das schöne Flugzeug über den Haufen. Es gibt eine riesige Explosion und schon steht der ganze Dschungel in Flammen.

Dann rennt das Biest los und will Colossus über den Haufen rennen. Der ist aber unverwundbar und wird so, ohne einen echten Schaden zu erleiden einfach nur in die Erde getreten.

Captain America wirft sein Schild nach dem Monster – verfehlt es gerade so – und ist das Schild damit erst Mal los. Er hat einen seiner Nachteile genutzt und bekommt dafür einen Plot Point. Das ist die verbrauchbare Resource, mit der sich besonders tolle Aktionen durchführen lassen.

Colossus und Captain America versuchen dem riesigen Dinosaurier beizukommen, aber das ist gar nicht so leicht. Man muss sich eben etwas einfallen lassen, um so ein Monster zu stoppen. Einfach nur draufkloppen wird das Problem nicht lösen.

Erst Mal versucht der Captain sein Schild wiederzufinden. Leider haben die Aktionen der Spieler den Doom Pool schon wachsen lassen – das Leben als Held ist gefährlich – und der brennende Dschungel macht es auch nicht einfacher. Da hier niemand direkt den Captain aufhält, spielen nicht die Werte des Gegners eine Rolle, sondern der Doom Pool. Der selbe Würfelmechanismus wie immer erbringt das Ergebnis: Das Schild ist in dieser stressigen Situation nicht aufzufinden.

Beast erklettert einen Baum. Auch hier wehrt sich nicht der Dinosaurier, sondern der Charakter bereitet einen Vorteil vor. Diesen kann er dann in einem folgenden Wurf gewinnbringend einsetzen. Auch hier wird gegen den Doom Pool gewürfelt, gleiches System wie immer, der Effekt ist der Vorteil, der in folgenden Aktionen benutzt werden kann.

Colossus hat eingesehen, dass er dem Dinosaurier so nicht beikommt – aber er ist übernatürlich stark: Er versucht einfach, die Beine des Gegner wegzurammen. Das soll keinen Schaden machen, sondern eine Komplikation erzeugen. Der Dinosaurier geht zu Boden. Dabei haben sich opportunities auf Spielleiterseite ergeben – diese können die Spieler nutzen.

Beast, oben im Baum kann jetzt einfach auf den Gegner runterspringen und ihn so angreifen. Das wäre schon nicht schlecht, immerhin hat sein eigener Vorteil und der Nachteil des Gegners beides Einfluss auf den Wurf. Mit einem Plot Point kann er aber auch noch einen Stunt erklären – das geht immer, aber mit einer Opportunity des Gegners ist es effektiver – und so seinen Würfelpool noch weiter vergrößern. Diesem Angriff, der mit mehreren Aktionen und starkem Teamwork vorbereitet wurde, hat der Gegner nichts entgegenzusetzen.

Dabei immer im Hinterkopf behalten: Was man als Spieler macht, ist immer das Gleiche: Würfelpool zusammenstellen, Würfeln, Ergebniswürfel auswählen, Effektwürfel auswählen. Die Dynamik ergibt sich direkt aus der Erzählung und der durchgeführten Aktion.

Der Dinosaurier wird immer wütender. Auch so ein Monster hat eine „Persönlichkeit“ die Vorteilhaft oder Nachteilhaft eingesetzt werden kann. Er ist verwundet, behindert, der Dschungel um ihn herum brennt. Ich kann jetzt entscheiden, dass das Tier gar nicht mehr so recht weiß, was es tut, wild ums ich beisst, dabei zwar theoretisch gefährlich, aber nicht mehr sonderlich effektiv ist. Aber der Doom Pool wächst.

Es gibt dann noch einen Angriff von ein paar kleineren Raptoren, die Colossus aber recht gut dezimiert.

Es hätte in dem Kampf noch mehr Möglichkeiten gegeben: Mit Opportunities der Gegner wäre es durchaus möglich gewesen, Wissen über diese Monster Vorteilhaft einzubringen. Auch dies kann mit Plot Points abgebildet werden und fließt dann in den Würfelpool des Spielers ein, der dieses Wissen hat. Er kann dieses Wissen natürlich auch teilen und so ein Asset erzeugen, was alle Spieler nutzen können.

Die Frage bei D&D ist ja schnell Mal: Gibt es ein Feat dafür? Hast du den Skill? Kannst du den Zauber? Und da steht dann genau, wie es angewendet wird und was passiert. Hier ist die Frage einfach nur: Was willst Du tun. Die Abbildung im System erfolgt immer auf die gleiche Weise.

Das heisst jetzt übrigens nicht, dass man einfach ALLES machen kann. Zum Beispiel beim Angriff der Raptoren kann Collossus hingehen und sie mit einer Clothesline über den Haufen rennen. Er ist superstark, darum kann er das machen. Würde Captain America das probieren, würde das vielleicht bei einem Gegner klappen – aber nicht als Flächenangriff auf alle Raptoren. So stark ist der Captain nicht.

Aber glücklicherweise weiß man das sehr schnell, wenn man nur auf sein Charakterblatt schaut. Ein Blick, vielleicht noch eine Frage beim Spielleiter und schon kann man sich auf die Action konzentrieren.

Wenn der Konflikt kein Kampf ist, funktioniert das übrigens genau so gut. Das System steht einem fast überhaupt nicht im Weg bei der ganzen Angelegenheit und trotzdem bietet es alle Möglichkeiten, die man braucht.

Marvel Heroic Roleplay – „Laufzeit-Komplexität“


Hier gehts zum Überblick der Themen rund um das Marvel Heroic Roleplay.

Wer mein Blog liest oder mich als Rollenspieler kennt weiß, dass ich Regellastige Systeme mag. Ich mag es, viele Optionen zu haben, meine Charaktere in vielerlei Richtungen entwickeln zu können. Gleichzeitig hasse ich intransparente Systeme und Regeln, die ganz einfach schon auf den ersten Blick sinnlos sind, oder den Spielspaß durch eine schlecht ausgewogene Balance gefährden. Den Spagat zwischen beidem schafft leider kaum ein System.

Wie kann es also sein, dass jemand wie ich, der D&D 4 so sehr mag, dermaßen auf das neue Marvel Heroic Roleplay abfährt, dessen für die Spieler relevanten Regeln auf eine Seite, und die für den DM relevanten Regeln auf drei Seiten passen?

Im Gegensatz zu vielen anderen Systemen, liegt die Komplexität bei Marvel nicht so sehr in der Definition der Regeln, sondern in deren Anwendung.

Bei D&D, beim HERO System oder Midgard… da gibt es eine Menge Definitionen, eine Menge regelelemente, die für einen Charakter wichtig sind. Sie werden aber vorab genau festgelegt, definiert, gegebenenfalls mit Kosten versehen, die bei der Charakterschaffung oder -Steigerung eine Rolle spielen. Bei D&D sind das Klassenfähigkeiten, Powers oder Feats. Bei anderen Systemen können das neben der Auswahl von Skills auch noch Vor- und Nachteile sein. Besonders die Handhabung von Nachteilen zeigt dabei einen eklatanten Unterschied. Zumeist ist es so, dass man in „herkömmlichen Systemen“ Nachteile „kauft“ – man kauft sie und bekommt dafür Punkte (also sozusagen ein negativer Preis beim Einkauf), die man für Vorteile oder Fähigkeiten verwenden kann. Im Spielverlauf gibt es dann eigentlich keine Anreize mehr die Nachteile zu verwenden, idealerweise meidet man sie. Auf den Spielverlauf haben dann Vor- und Nachteile einen genau bemessenen und definierten Einfluss, der in bestimmten Situationen dannn genau so ins Spiel eingebracht wird. Das ganze ist verhältnismässig statisch: eine Angst vor Spinnen kann den eigenen Wurf um 10% verschlechtern oder verbessern oder ein Hass auf bestimmte Gegner gibt eben einen Schadensbonus. Natürlich will ich damit nicht sagen, dass solche Konstrukte TOTAL undynamisch sind, aber sie spielen eher beim Steigern eine Rolle, als beim Spiel selbst. Ich nenme eins gleich Mal vorweg: Für Nachteile bekommt man bei der Charakterschaffung eines Marvel Heroic Charakters genau gar nichts.

Was ist jetzt aber mit Marvel Heroic?

Es gibt genau einen Würfelmechanismus, der immer angwendet wird. Es gibt keine Unterscheidung zwischen Angriffwürfen und Schadenswürfen – das findet beides im gleichen Wurf statt. Es gibt keine Unterscheidung zwischen Angriffswurf und Verteidigung. Es gibt nicht Mal einen Unterschied, ob man nun gegen einen Gegner würfelt, oder etwas zu erreichen versucht, wo einem niemand aktiv Steine in den Weg legt.

Es gibt keinen Unterschied zwischen einem Angriff der Schaden macht, einem Versuch ein Hinderniss zu überwinden, eine temporäre Behinderung loszuwerden, dem Versuch jemanden zu verwirren oder einzuschüchtern. Alles läuft auf die gleiche Weise ab:

Suche aus deinen Eigenschaftsfeldern deine Würfel zusammen, Würfele, bestimme die Höhe des Wurfs durch  zusammenzählen der Würfelwürfe einiger Würfel und die Größe des Effekts durch Auswahl eines anderen Würfels.

Die Gegenseite hält mit einem eigenen Wurf dagegen, der genau so abläuft. Wobei es hier schon eine Besonderheit gibt: Wenn man nicht gegen einen Gegner, der eigene Würfel hat würfelt, würfelt man gegen den Doom Pool, eine Resource des DMs, die in Gefahrensituationen gerne Mal schnell ansteigt. Das heisst auch, dass es keine festen Werte gibt, gegen die man würfelt, sondern man würfelt immer gegen andere Würfel – „Schwierigkeitsgrade“ spielen bei diesem Spiel nicht die gleiche Rolle, wie bei anderen Systemen, auch wenn der DM recht gute Kontrolle über den Doom Pool und damit über die Gefährlichkeit in einem Abenteuer hat.

Was macht das System denn jetzt so komplex, wenn es doch eigentlich immer gleich läuft – und wenn dazu noch keine großartigen Optionen bei der Charaktererschaffung und -entwicklung vorhanden sind?

Die Details. Es sind immer die Details. Spieler, wie auch Spielleiter haben begrenzte Resourcen -so genannte Plot Points-, um Würfe zu verändern. Sie können mehr Würfel würfeln, mehr Würfel in ein Ergebnis einbeziehen, mehr Effektwürfel übrig behalten (die aber nicht für das gleiche Ziel verwendet werden dürfen).

Es gibt die Möglichkeit „Stunts“ durchzuführen, besonders coole Aktionen, die dann auch entsprechend beschrieben werden, oder man erzeugt sich temporäre Vorteile – sogenannte Assets. Man muss entscheiden, ob man dem Gegner direkt Schaden will und auf welche Weise (MHR kennt verschiedene Arten von Schaden, nicht einfach nur „Trefferpunkte“), oder on man lieber davon absieht und ihn versucht auf andere Art und Weise auszuschalten. Je nachdem was man macht, kostet das Plot Points, oder eben nicht.

Ihr habt ja schon gesehen, wie ein Charakterblatt aussieht – das eines Gegners sieht nicht so anders aus, auch wenn es wesentlich kleiner ist – vor allem bei unwichtigeren Gegnern. Wichtig zu wissen: Auch die Eigenschaften eines Gegner lassen sich angreifen. Wenn ein Gegner Beispielsweise eine fette Strahlenkanone hat, mit der er immer besonders viel Chaos anrichtet, kann es also durchaus eine sinnvolle Taktik sein, diese direkt anzugreifen, anstatt dem Gegner eins auf den Deckel zu geben.

Dann gibt es noch die Spezialeffekte (SFX) und Limits, die zu den eigenen Fähigkeiten gehören. Manchmal ist es sehr sinnvoll einen Flächeneffekt zu machen, um gleich viele Gegner auf einmal angreifen zu können. Aber solche Flächenangriffe verwenden relativ kleine Zusatzwürfel – je kleiner die Würfel, desto größer die Chance, dass sie eine 1 zeigen … und eine 1 ist gut für die Gegenseite (aber typischerweise erhöht sie auch die eigenen Plot Points).

Es gibt auch SFX, die es erlauben eigene Würfel zu vergrößern, den Würfel zu verdoppeln oder andere Dinge zu machen – eigentlich immer mit irgendeiner Art von Kosten versehen.

Aber selbst, wenn man all diese Dinge nicht in Betracht zieht und es nur darum geht einen einfachen Wurf durchzuführen, hängt die Zusammenstellung des eigenen Würfelpools davon ab, was man genau machen will und wie man es macht. Dabei spielt der Charakter in seiner Gesamtheit eine Rolle. Seine Fähigkeiten, seine Fertigkeiten, aber eben auch seine Persönlichkeit.

Fast alles wird bei Marvel Heroic in Würfeln gemessen und ein Vor- oder Nachteil würde das ebenfalls. Eine Angst vor Spinnen wäre Beispielsweise eine „Distinction“ anstelle eines Nachteils. Nachteilhaft verwendet erhöht sie automatisch die Plot Points, erzwingen die Verwendung von recht kleinen Würfeln, die wiederrum dem Gegner helfen können. Auch Limits sind entsprechende Nachteile – im Marvel Universum wäre so ein Limit-Nachteil Beispielsweise die Tatsache, dass man ein Mutant ist. Wenn sich das für einen selbst Nachteilhaft auswirkt, ihr ahnt es bereits, gibt es Plot Points. Normalerweise hat man es als Spieler selbst in der Hand, Nachteile zu aktivieren. Auch wenn der DM es am Ende erzwingen kann, hat erst Mal immer der Spieler das sagen.

Aktive Nachteile, Behinderungen, und sogar Schaden lässt sich alles auch mitten in einem Konflikt wieder beseitigen – nicht ohne bestimmte Kosten. Das können die beliebten Plot Points sein, es kann aber auch sein, dass man bestimmte Aktionen unternehmen muss.

Komplexität trotz eines einfachen Systems. Ergibt das Sinn? Ich finde es auf jeden Fall toll!

 

Marvel Heroic Roleplay: 1. Das Charakterdatenblatt


Hier geht es zur Übersicht der Punkte, die mir am MHR-System besonders aufgefallen sind.

Als erstes will ich auf das Charakterdatenblatt eingehen, auf die Art und Weise, wie ein Charakter beschrieben wird und was einen Charakter bei Marvel Heroic Roleplay von Charakteren in anderen Systemen unterscheidet.

Zur besseren Veranschaulichung habe ich hier ein Charakterdatenblatt als Beispiel liegen.

Wie bei den meisten Systemen, unterteilt sich auch ein Marvel Heroic Charakterblatt in verschiedene Bereiche. Bei „herkömmlichen Systemen“ sind das zumeist die Bereiche Attribute, Skills, Ausrüstung und je nachdem noch Zauber und Vor- und Nachteile. Im Prinzip wird hier erfasst: Was kann mein Charakter. Aber nicht: Wer ist das eigentlich. Oftmals ist es sogar so: Je komplexer ein System wird, desto mehr wird auf „was kann er“ wertgelegt und desto weniger spielt „wer ist das“ eine Rolle. Selbst Vor- und Nachteile werden typischerweise nicht so verwendet, dass sie genommen werden, um im Spiel diese Punkte anzubringen, sondern Nachteile werden typischerweise genommen  um die Kompetenzen eines Charakters in bestimmten Bereichen zu erhöhen und Vorteile … tun genau das. Selbst wenn sie Mal einen Einblick in die Persönlichkeit eines Charakters geben, ist das nicht ihr Punkt.

Was macht also MHR anders?

Bei Marvel Heroic Roleplay sind die Bereiche etwas anders unterteilt. Auffällig ist Beispielsweise, dass es keine Ausrüstung gibt (diese ist entweder unwichtig, nur temporär relevant – dann taucht sie nicht auf dem Charakterblatt auf, oder aber sie wird Beispielsweise als Power Set erfasst und wird damit zu einem integralen Bestandteil des Charakters und nicht zu einem beliebig austauschbaren Element). Weiterhin fallen Besonders die Bereiche „Distinctions“ und „Milestones“ auf – das sind Dinge, die es in fast allen anderen Systemen, die ich kenne so nicht gibt. Distinctions sind immerhin noch Vergleichbar mit den Aspekten, die man vielleicht von FATE kennt.

Was bedeutet das jetzt? Ich habe für mich festgestellt, dass ein MHR-Charakterblatt eine deutlich komplettere Beschreibung eines RPG-Charakters liefert, als ein D&D Charakterdatenblatt, oder auch ein DSA- oder Midgard-Charakterdatenblatt. Meiner Meinung nach versucht MHR in seiner herangehensweise einen Charakter komplett zu erfassen, während die meisten anderen Systeme dies nur im Hinsicht auf die Fähigkeiten eines Charakters tun.

Affiliations erfasst, wie gut ein Charakter alleine, zusammen mit genau einer anderen Person oder eben in einem kompletten Team arbeitet. Das allein beschreibt schon einen signifikanten Teil der Persönlichkeit.

Distinctions sind kurze Schlüsselwörter oder -Sätze, die bestimmte Teile der Persönlichkeit eines Charakters erfassen. Damit wird natürlich keineswegs die Gesamtheit der Persönlichkeit eines Charakters erfasst, aber es werden ikonische Stichpunkte geliefert. Distinctions können positiv, wie auch negativ sein – wobei für das Einbringen einer Distinction im negativen Sinne Anreize geschaffen werden.

Dann kommen die Power Sets – hier sind die für einen Superhelden wichtigen natürlichen oder übernatürlichen Fähigkeiten erfasst, die ihn zu einem Superheld machen. Das tolle dabei ist, dass das nicht nur eine antrainierte oder angeborene Fähigkeit sein kann, sondern genau so gut Ausrüstung oder ein ständiger Begleiter. Kitty Pryde hat Beispielsweise einen kleinen Drachen „Lockheed“ dabei, der Feuerspeien kann. Iron Man findet hier seine Rüstung.
Was mich so daran fasziniert ist, dass auf diese Art und Weise dieser Begleiter oder die Ausrüstung direkt zu einem integralen Teil des Charakters werden.
SFX und Limits erweitern die recht Grobe Beschreibung eines Powersets oder schränken sie ein – wobei die Anwendung eines Limits typischerweise mit Anreizen versehen ist, das auch zu tun. Es obliegt dem Spieler, die SFX oder Limits zu verwenden. Wenn es natürlich passend ist, kann auch der DM die Limits eines Charakters zünden .

Specialties wären in „herkömmlichen Systemen“ die Skills. eines Charakters. Auch hier geht aber die Definition weiter, als das normalerweise der Fall ist. Skills bedeuten nicht nur Fähigkeiten, die ein Charakter hat, sondern sie ermöglichen auch den (temporären) Zugriff auf Kontakte, Ausrüstung oder Wissen – sogenannte Resourcen.

Als letztes kommen noch die Milestones – das sind die Ziele eines Charakters. Nicht ALLE Ziele, aber die, die man gerade in den Mittelpunkt stellen will – darum ist das auch die Art und Weise, wie man bei MHR XP bekommt.

Das Ergebnis dieses Charakterdatenblattes ist, dass man jederzeit schnell einen Überblick darüber hat, wer sein Charakter ist und die Beschreibung weit über die reinen Fähigkeiten des Charakters hinausgeht. Besonders faszinierend finde ich persönlich, wie einfach über die Distinctions und Milestones die Persönlichkeit eingefangen wird. Dabei sind insbesondere die Distinctions aber durchaus immer noch so frei, dass sie den Spielern genug Freiraum geben, den Charakter (so er nicht eh ein selbst gebauter Charakter ist) zu ihrem eigenen Charakter zu machen. Im Spielverlauf ist es ohne weiteres möglich Distinctions auszutauschen, wenn man also meint einen anderen Aspekt eines Charakters in den Vordergrund rücken zu wollen, kann man das ohne viel Aufheben machen. Die Milestones – also die Zieles des Charakters, werden beim erreichen eines Ziels ebenfalls ausgetauscht.

Warum machen das nicht mehr Systeme so? Würde euch diese Herangehensweise stören? Ich für meinen Teil finde es toll, dass ich auf das Blatt schaue und gleich weiß, was ich kann, was der Charakter will und wie er das zu erreichen versucht.